Der Lötschbergtunnel

Nach etlichen politischen Schwierigkeiten und Querelen um die Planung einer Nord-Süd-Hauptverkehrsachse setzte sich am Ende das Initiativkomitee Pro Lötschberg durch. Am 27. Juli 1906 wurde die Berner Alpenbahngesellschaft BLS (Bern-Lötschberg-Simplon) gegründet und schon am 15. Oktober 1906 mit den Bauarbeiten begonnen. Das Hauptbauwerk war der 13,7 km lange Lötschbergtunnel. (Im selben Jahr fand übrigens die Einweihung des Simplontunnels zwischen Brig und Iselle in Italien statt.) Bereits am 25. Juli begann man mit der Vermessung der Tunnelachse. Da diese schwieriger war als Oberflächenvermessungen, wurde sie während der Bauarbeiten von verschiedenen Geometern wiederholt vorgenommen und überprüft, um Probleme beim Bau auf Grund von Fehlberechnungen zu vermeiden.

Ursprünglich war die 58 km lange Strecke eingleisig geplant. 1907 verlangten die Bundesbehörden aber von der BLS, den Lötschbergtunnel und die Zufahrtsrampen doppelspurig zu bauen. Wegen fehlender Geldmittel wurde vorerst allerdings nur der Tunnel zweigleisig gebaut.

Etwa die ersten 6 Monate wurde ausschließlich von Hand gearbeitet, mit Spitzhacke, Hammer und (Bohr-)Meißel. Erst danach wurden mechanische Bohrmaschinen eingesetzt. Etliche junge Burschen aus dem Lötschental arbeiteten hier. Einige sind später bei der Bahn geblieben. Der größte Teil der Arbeiter waren aber italienische Gastarbeiter.
 
Arbeiter mit Bohrmaschine beim Bau des Lötschbergtunnels

Bau des Lötschbergtunnels: Arbeiter mit Bohrmaschine © BLS
 
Aus Überheblichkeit gegenüber den einheimischen Talbewohnern, wurden die Warnungen des Wiler Försters Johann Josef Bellwald und anderer vor Lawinen in den Wind geschlagen. So wurde am Abend des 29.02.1908 das Gasthaus in Goppenstein, das sich an der Stelle der heutigen Postautostation befand, zerstört, als dort etwa 30 Personen zum Nachtessen saßen. Mindestens 11 Menschen fanden hier den Tot.
Bei wikipedia.de wird dies Ereignis u. a. so beschrieben:
"Erwähnenswert ist auch der Lawinenniedergang vom 29. Februar 1908, welcher zwischen 7 und 8 Uhr abends stattfand. Durch den Zug der Gmeinlaui war eine Staublawine niedergegangen, die das nahe Hotel bei der Station Goppenstein nicht einmal berührte. Trotzdem wurde das Hotel, in welchem um die 30 Leute beim Nachtessen sassen, regelrecht weggefegt. Im einstürzenden Holzbau fanden elf Menschen sofort den Tod. Sie starben nicht an Verletzungen durch Trümmer, sondern erstickten am plötzlichen Luftdruck, der durch die Staublawine hervorgerufen wurde; sie sassen alle mit dem Gesicht in Richtung Lawine. All diejenigen, die mit dem Rücken zur Lawine sassen, wurden höchstens durch herumfliegende Trümmerteile verletzt. Eine zwölfte Person, Ingenieur Sylva, verstarb einige Tage später an den Verletzungen, die ein heruntergestürzter Heizkörper verursacht hatte."
Dies war aber nicht die einzige Katastrophe des Tunnelbaues.

Am 24. Juli 1908 kamen bei den Arbeiten am Lötschbergtunnel 25 italienische Mineure ums Leben, als während der Bohrarbeiten direkt unter dem Gasterntal Wasser- bzw. Sedimentgestein in den Tunnelstollen einbrach – nur drei Arbeiter dieser Schicht überlebten. Infolge dieses schrecklichen Ereignisses wurden die Bauarbeiten für rund sechs Monaten unterbrochen, der mit Schutt ausgefüllte Stollen zugemauert und eine Umgehung der Unglückstelle ausgearbeitet. Der damit notwendig gewordene Bau von drei Kurven hatte zur Folge, dass die Länge des Lötschbergtunnels am Ende 14,612 Kilometer betrug – etwa einen Kilometer mehr als ursprünglich vorgesehen.

Am 31. März 1911 wurde der Lötschberg durchstoßen (siehe separaten Bericht).
 
Durschschlag des Lötschbergtunnels 31.03.1911

Ingenieure und Unternehmer beim Durchschlag des Lötschbergtunnels am 31.3.1911 © BLS
 
Der Lötschbergtunnel war lange Zeit der drittlängste Alpentunnel und in der Schweiz der mit dem zweithöchsten Scheitelpunkt (1244 m).
Länger waren nur der Simplon-Tunnel in den Walliser Alpen (19,7 km, 1906 fertiggestellt, Scheitelhöhe 705 m) und der Gotthard-Tunnel in den Zentral Alpen (14,9 km, 1884 fertiggestellt, Scheitelhöhe 1154 m).
Zwei weitere wichtige Tunnel in der Schweiz waren zu dieser Zeit Aluba (5,9 km, 1903 fertiggestellt, Scheitelhöhe 1823 m) und Ricken (8,6 km, 1906 fertiggestellt, Scheitelhöhe 790 m).

Der Semering-Tunnel in den Steirischen Alpen Österreichs, der das Wiener Becken mit dem Murtal verbindet, ist übrigens der wohl älteste Alpentunnel (1853 fertiggestellt, 1,4 km lang, Scheitelhöhe 897 m).
Der älteste Eisenbahntunnel in der Schweiz ist der durch den Schloßberg bei Baden (Tunneldurchstich: 14. April 1848).

Für die beiden Zufahrtsrampen zum Lötschbergtunnel wurden weitere 33 Tunnel, 22 Brücken und drei Lawinenschutzgalerien gebaut.

Lötschbergtunnel, Kehrtunnelbau Blausee-Mitholz

Nordrampe: Bau des Kehrtunnels bei Blausee-Mitholz © BLS
 
Aus Kostengründen wurde zwar die komplette Strecke für den zweigleisigen Ausbau geplant und teilweise ausgelegt, anfangs aber nur die Tunnelstrecke zweigleisig ausgebaut (erst am 8. Mai 1992 konnte die vollständig doppelspurige Lötschberglinie eingeweiht werden). Die Strecke hat eine maximale Steigung von 27 Promille und einen minimalen Kurvenradius von 300 m.

Lötschbergtunnel, Kehrtunnelbau Blausee-Mitholz

Das Südportal bei Goppenstein ca. 1909
(
Quelle: Buch "Tausend Grüße aus den Bergen – Das Lötschental auf alten Ansichtskarten")

Am 19. Juni 1913 endlich konnte die mit Einphasen-Wechselstrom (15.000 V, 16 2/3 Hz) elektrifizierte Strecke – damals eine Pioniertat – Spiez - Frutigen - Kandersteg - Lötschbergtunnel - Goppenstein - Brig feierlich dem Betrieb übergeben werden.

Direkt kostete der Tunnelbau mehr als 60 Menschen das Leben. Viele starben später an Folge-Erkrankungen (Silikose – Quarz-, Kiesel-, Steinstaublunge).

Die internationalen Transitzüge durchquerten das Alpenmassiv am Lötschberg aber vorerst nur für kurze Zeit. Es kündigte sich bereits der erste Weltkrieg mit all seinen Folgen an. Der politischen und wirtschaftlichen Wert der Linie wurde bezweifelt.

Der Güteraustausch zwischen Deutschland und Italien über die Lötschberg-Simplon-Route und der innerschweizerische Verkehr nach und vom Wallis nahmen aber nach 1919 einen so grossen Aufschwung, dass bald niemand mehr am Sinn dieser neuen Alpenquerung zweifelte.

1940 begann die BLS, auf ihren flachen Güterwagons auch Strassenfahrzeuge durch den Lötschbergtunnel zu transportieren. Diese anfänglich nur sporadischen Transporte erwiesen sich mit dem Aufkommen des Individualverkehrs zu Beginn der sechziger Jahre als eine nicht mehr wegzudenkende Einnahmequelle, die den Einsatz spezieller Züge zur Folge hatte. Während die BLS 1950 nur 225 Fahrzeuge durch den Lötschbergtunnel transportierte, waren es 1960 bereits 13.718 Stück, 1970 bereits 227.070 und 1980 rund 750.000. Seit 1990 ist die Zahl auf jährlich über 1,2 Mio. angewachsen. Bis Ende 2001 waren es insgesamt rund 27,5 Mio. Fahrzeuge.

 

Der Lötschberg-Basistunnel

Heute genügt der Lötschbergtunnel dem immer noch wachsenden Transit-Verkehrsaufkommen nicht mehr und ist auch für eine Anbindung an das europäische Hochgeschwindigkeits-Netz nicht ausgelegt. Deshalb wurde seit 1999 (erste Sprengung zum eigentlichen Tunnelbau am 5. Juli 1999 beim Fusspunkt Mitholz) der 34,6 km lange, zweiröhrig-einspurige, richtungsgetrennte Lötschberg-Basistunnel von Frutigen im Kandertal (Berner Oberland) nach Raron im Rhonetal (Wallis) gebaut, der am 16. Juni 2007 (mit halbjährigem Probebetrieb) seiner Bestimmung übergeben werden sollte.

Im Lötschental wurde bei Goppenstein für den Tunnelbau ein 4,1 km langer Zugangsstollen mit 12% Gefälle hinunter auf die Höhe des Basistunnels gebohr. Dort entstand eine Grossbaustelle (und spätere Betriebszentrale) „Ferden“ für den weiteren Vortrieb in Richtung Norden.

Tunnelbaustelle bei Goppenstein 2005
 
Am 28. April 2005 erfolgte zwischen Ferden und Mitholz der Durchschlag in den Basistunnelröhren. Die Arbeiter feierten in Gesellschaft mit viel Politprominenz, Gästen und Medien das wichtige Ereignis.

Durchschlag des Basis-Lötschbergtunnels am 28.04.2005

Durchschlag am 28.04.2005: Die Freude aller Beteiligten ist fast grenzenlos © BLS
 
Der Durchschlag zwischen den Kantonen Bern und Wallis war – laut einer Mitteilung vom 15. Februar 2005 – bereits für Mitte 2004 vorgesehen gewesen.

Am 15.06.2007 meldete tagesschau.de:
Nach rund achtjähriger Bauzeit wird an diesem Freitag in der Schweiz der Lötschberg-Basistunnel vom Berner Oberland ins Wallis in Betrieb genommen. Mit 34,6 Kilometern Länge ist er nach dem Seikan-Tunnel in Japan und dem Eurotunnel der drittlängste Bahntunnel der Welt. Er soll vor allem der Schweiz dabei helfen, noch mehr Güterverkehr auf die Schiene zu bekommen.

Nach der symbolischen Eröffnung stand für die rund 1200 geladenen Gäste, darunter der deutsche Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee, ein Sonderzug ins Wallis bereit. Die Tunnelröhre führt von Frutigen im Berner Oberland nach Raron im Wallis.

Ab Dezember sollen 42 Personenzüge täglich den Tunnel mit einer Höchstgeschwindigkeit von bis zu 250 Stundenkilometern passieren können. Die Fahrgäste profitieren dabei von stark verkürzten Reisezeiten etwa in die Hauptstadt Bern. Im Güterverkehr beträgt die Kapazität 110 Züge am Tag. Rund 72 davon werden durch den Tunnel geführt. Die Restlichen sollen wie bisher die Bergstrecke befahren.

Die Kosten des Bauwerks belaufen sich auf rund 2,6 Milliarden Euro.
 
… und bei sueddeutsche.de schreibt Klaus C. Koch:
Heute wird der neue Lötschberg-Tunnel eröffnet – ein Lehrstück für die künftige Bewältigung des Bahnverkehrs über die Alpen.

"Unser neuer Tunnel", sagt Mathias Tromp, Chef des Schweizer Bahnunternehmens BLS, "ist keine Röhre, sondern eine Maschine." Er ist ein 34,6 Kilometer langer Bypass, der den Verkehr durch den Berg pumpt, um dem Infarkt durch die unaufhörliche Blechlawine vorzubeugen, die sich sonst über Pässe und Serpentinen durch die Alpen zwängt."

Der schnellste Weg von Rotterdam nach Genua – abgesehen vom Fliegen – führt von der kommenden Woche an nicht auf der Straße, sondern auf Eisenbahngleisen durch den Lötschberg via Frutigen im Berner Oberland nach Visp durch das Wallis und von dort in den Simplon. Ein neues, funkferngesteuertes Zugleitsystem, das European Train Control System ETCS, soll dabei die im Drei-Minuten-Takt mit bis zu 250 km/h aufeinander folgenden Züge ähnlich wie beim Flugverkehr mit Hilfe von Slots durch die Röhre schleusen.

Der neue Basistunnel wird einen Teil des alpenquerenden Verkehrs auffangen, den die Schweiz unbedingt auf die Schiene verlagern will. 16 Millionen Tonnen Fels wurden gesprengt und dabei etliche Störzonen bewältigt. Gesteinsschüttungen und Wassereinbrüche hatten ganze Dörfer, die oberhalb der Baustelle am Berg lagen, absacken lassen. Immerhin ist das Bauwerk, die Kosten werden auf 2,8 Milliarden Euro geschätzt, zehn Jahre früher fertig als der neue Tunnel am Gotthard. Der soll mit 57 Kilometer dann zwar der längste der Welt sein, aber frühestens 2017 in Betrieb gehen. Bis dahin muss der Basistunnel am Lötschberg den Verkehrszuwachs auffangen. Die schnelle Taktfolge mit bis zu 110 Zügen pro Tag bedingt aufwendige Sicherheitsvorkehrungen.

In der Röhre selbst sind 3200 Brandmelder installiert, 175 Sicherheitsschleusen und feuersichere Tore eingebaut. 133 Kameras überwachen den laufenden Betrieb, 437 Telefone und 16 Kommunikationszentralen sollen im Ernstfall die Erreichbarkeit, alle 333 Meter Querstollen den Fluchtweg sichern.

10.000 sogenannte Ertüchtigungsfahrten, von denen bislang rund 3000 absolviert wurden, sind vorgeschrieben, um das Bauwerk von Dezember an fest in den Fahrplan einbinden zu können. In aufwendigen Szenarien wurde der Ernstfall geprobt, bei dem auch die Schienenfahrzeuge der Retter schnell sein müssen, um mit bis zu 100 Kilometer pro Stunde an den Einsatzort vordringen zu können. Die Schweizer SBB, für die Sicherheit im Tunnel zuständig, schickte im Dezember einen mit Messinstrumenten vollgestopften Spezial-ICE der Deutschen Bahn ins Loch, um die Stabilität des Fahrwegs und der Oberleitung bei bis zu 280 km/h zu testen. Dem ETCS kommt eine wichtige Aufgabe zu, da bis zu 30 Züge in schneller Folge mit herkömmlichen Signalen kaum zu bewältigen wären.

Das neue System fragt über einen in die Lokomotive eingebauten Sende-Empfänger sogenannte Transponder, eine Art elektronische Kilometersteine, ab, die ins Gleisbett eingelassen sind, und bestimmt daraus die Position. Die Ortsangabe wird via Mobilfunk in ein Kontrollzentrum übertragen, das sämtliche Züge überwacht, die sich auf der Strecke be-finden, und auf ausreichende Sicherheitsabstände achtet. Wiederum per Funk wird die Erlaubnis für die Weiterfahrt samt Geschwindigkeitsangaben und Streckendaten jeweils direkt auf die Instrumententafel des Zugführers übertragen. Zwischen den Ortungen ermittelt ein Bordrechner über Achssensoren, Beschleunigungsmesser und permanente Weg-Zeit-Messung die eigene Position.

Das digitale Zugsicherungssystem wurde bislang nur auf wenigen Strecken erprobt, erstmals 1999 zwischen Wien und Budapest. Seither folgten Hochgeschwindigkeitsstrecken zwischen Madrid und Lleida und in Deutschland zwischen Halle, Leipzig und Berlin. In der Schweiz ist das System seit Ende März auf einer 47 Kilometer langen Neubaustrecke zwischen Olten und Bern mit 240 bis 260 Zügen pro Tag in Betrieb.

Am Lötschberg funktionierte das ETCS in der Testphase einwandfrei. Dennoch bleiben Risiken. Sollte sich das System aufhängen, könnte der Betrieb im Lötschberg nur noch im Schritttempo ablaufen. Sicherheitshalber hätte man noch ein paar herkömmliche Signale in Reserve halten können, darauf wurde aber aus Kostengründen verzichtet.

Unter der Rubrik "noch zu bewältigende Herausforderungen" vermerkte die SBB noch im April, dass die Programmierung des ETCS zwar "sicher" sei, aber "robuster" werden müsse. Ein Fehler in der Software hatte die Anzahl der Ausfälle erhöht, wenn der mit dem ETCS gekoppelte Sprechfunk genutzt wurde. Als Übergangslösung verwendete das Zugpersonal nicht die eingebauten Funkgeräte, sondern kommunizierte per Handy.
 
... und einen weiteren interessanten Artikel zum "Jahrhundertbauwerk" lesen Sie unter www.handelsblatt.com.

26.10.2003 - Letzte Aktualisierung dieser Seite: 05.08.2015 - © edgar droste-orlowski

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