Geschichtliches zum Lötschental bis 1899
"Urkundlich erscheint Lötschen zuerst 1233 und heisst Liech bei einem romanischen Notar. In späteren lateinischen Urkunden lesen wir Vallis illiaca superior im Gegensatz zu Vallis illiaca inferior (Val d'Illiez) im Unterwallis, oder Vallis Illiacensis. «Lötschen» erscheint zuerst in einer deutschen Urkunde von 1485, abgefasst in Interlaken. Bei den Chronisten des 16. Jahrhunderts lesen wir Lötschenberg, Lettscherberg Lötschintal, auf der Walserkarte von 1768 Letschental und auf der Hugikarte von 1830 Lötschtal. Letztere Form ist der romanischen Zunge geläufiger. Die Form Lichttal ist nicht sehr alt." schreibt Joh. Siegen, Rev. Prior in Kippel, als Fußnote in seinem wohl 1918 erschienenen Buch "Das Lötschental – Führer für Touristen – Abhandlung über eines der eigentümlichsten Täler der Schweizer Alpen".
Verschiedene Gräberfunde belegen, dass bereits um das Jahr 1000 v. Chr. im Lötschental Menschen gelebt haben. Die ältesten menschlichen Zeugnisse sind die bronzezeitlichen Bogen, die im Lötschentaler Museum in Kippel (eröffnet 1982) zu bewundern sind und eine aus der Spätbronzezeit (um 1000 v. Chr.) stammende massive, strichverzierte Armspange, die der Geologe Edmund von Felleberg (1838-1902) im Jahr 1880 bei Goppenstein in Lawinenschutt fand.
Der Name "Lötschen" taucht erstmals im Jahre 1181 auf.
Am "Giätrich", im "Obri Wald" gegenüber von Wiler, wurden in den Jahren 1989/90 Ausgrabungen vorgenommen. Dabei wurden bis heute vier Gebäude einer Siedlung freigelegt (Ausgrabungen der Universität Basel), die auf die Zeit von 1000 bis 1200 zurückgeht. Sie wird mit der Sage der "Schurtendiebe" in Verbindung gebracht.
Die "Schurten" waren den Erzählungen nach ein kleiner, kurzgewachsener, schmächtiger Menschenschlag, der vor den ins Lötschental einfallenden Alemannen in den "Obri Wald" auf der Schattenseite flüchten mussten. Dort rodeten sie einen Teil dieses Waldes, um im "Gätrich" eine neue Siedlung aufbauen zu können. Da sich diese "Schurten" um ihre vormaligen Siedlungen auf der Sonnenseite betrogen sahen, erlaubten sie sich gelegentliche nächtliche Streif- und Raubzüge in wilder Verkleidung, wie man sich erzählt in ihre ehemaligen Siedlungen, die jetzt von den Alemannen bewohnt waren. (Die wilde Verkleidung lässt u. U. einen Zusammenhang mit dem "Tschäggättun" vermuten.)
Im 12. und 13. Jahrhundert war die Bevölkerung des Wallis (wie auch anderenortes) sprunghaft angestiegen. Dieser Bevölkerungszuwachs zwang auf der einen Seite zu einer intersiveren Nutzung des verfügbaren Bodens und zur Auswanderung der 'überschüssigen' Bevölkerung (Walserwanderungen), auf der anderen Seite auch zu einer Monopolisierung des Wirtschaftsraumes durch die alteingesessene Bevölkerung. So enstanden im 13. u. 14. Jahrhundert überall im Wallis nach dem Vorbild städtischer Zunftverbände die sogenannten Bauernzünfte (gepurzunfte), welche in erster Linie wirtschaftliche Ziele verfolgten, sich aber allmählich auch zu politischen Gemeinwesen entwickelten. Ihr unmittelbarer Zweck bestand in erster Linie darin, sich gegen Nicht-Bürger und „Ungeteilen“ abzuschirmen und die Allmenden, Wälder und Alpen als geschlossene Wirtschaftsverbände auf genossenschaftlicher Basis zu nutzen.
Bis 1375 gehört das Lötschental zu den Besitztümern der Freiherrn vom Turm (Niedergesteln).
Ab 1375 (bis 1790, also über 400 Jahre lang) ist das Lötschental (nach der Vertreibung der Freiherrn vom Turm und Kämpfen gegen den Grafen von Savoyen und den Bischof von Sitten) von den fünf oberen Walliser Zenden (Goms, Brig, Visp, Raron und Leuk) politisch abhängig.
Ein von den Zenden bestimmter Kastlan ist für die hohe Gerichtsbarkeit (Schwerverbrechen) zuständig, während die niedere Gerichtsbarkeit und das Einziehen der Steuern einem Talmeier obliegt, der von den Lötschern aus den eigenen Reihen gewählt, und vom Kastalan vereidigt wird.
Aus dem Jahr 1474 stammt der frühester Beleg für Bergbau in Lötschen.
1510 tritt das Lötschental – gegen den Willen des Bischofs – einem Bündnis mit König Ludwig von Frankreich bei.
1519 erhält Ulrich Ruffinger den Auftrag, einen Weg für Säumer über den Lötschenpass zu bauen, der bereits seit Jahrhunderten als Handelweg ins Berner Oberland genutzt wird und über den Waliser im Mittelalter das Gasterntal besiedelten.
1549 meint Johannes Stumpf zum Lötschenpass in seiner Chronik: "Neben Gestelen falt ein Wasser herfür in den Rodden, das heisst Lüntza, entspringt ob einer grossen meyl wegs gegen Mitternacht, und ein wenig gegen Auffgang, hinter dem Gebirg Bietschhorn ob Raren gelegen, und neben dem Lettschenberg. Von dises Wassers ursprung gehet ein pass gegen Mittnacht über den Berg Lettschen oder Lettscher hinüber inn Gastrun, und fürter gegen Kanderstäg im Frutiger tal, Berner gebiets. Dieser berg ist fast rauch, unwägsam und sörgklich zu wandern, und verfallen vil leut darauff."
(siehe J. Siegen, Lötschental, 1971)
1574 sagt Simpler in der "Valesia descriptio": "Der Luntzafluss entspringt in den höchsten Bergen über Raron und vermengt sich mit dem Rhodan bei Gestilen, an der Grenze des Zehnden Raron. Hier ist nach Norden der Eingang ins Lötschintal, das zwischen sehr hohen Bergen gelegen mehrere Weiler hat und Bleibergwerke. Durch dieses Tal und über den Lötschberg führt ein gefährlicher Weg, auf dem viele abstürzen, ins Frutigland nach Helvetien."
(siehe J. Siegen, Lötschental, 1971)
1578 befiehlt der Landrat von Gampel im Taleingang zum Löschental Pestwachen aufzuziehen, da dort die Pest ausgebrochen war.
Im 17. Jahrhundert taucht im Lötschental, der Zenralschweiz und Graubünden der Brauch der Votivbilder auf, der wohl aus Italien stammt und sich erst Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts auf die restlische Schweiz, Östereich und Süddeutschland ausdehnt.
Der Begriff Votivbild leitet sich vom lateinischen Begriff "votum" her, der auch das Gelübde (ex voto) beinhaltet. Im Lötschental heißen die Votivbilder „Glibdtafla“ (Gelübtetafel).
Der Votant ist die Person, die ein Gelübde ablegt, das Votiv die Gabe, die der Votant an heiliger Stätte darbringt: Als Dankvotiv, um mit diesem sichtbaren Zeichen das im Gelübde (aus Anlass von Krankheit, Unglück oder sonstiger Bedrängnis) gegebene Versprechen einzulösen oder als Bittvotiv, um sich vorsorglich den Schutz eines Heiligen zu erbitten. Letzteres teilweise über das Leben hinaus. Viele, zum Teil sehr alte Votivbilder kann man z. B. in der barocken Gnadenkapelle Mariä Heimsuchung in Kühmatt (Chiämad), einem weit über das Lötschental hinaus bekannten Wallfahrtsort, bewundern.
1627 werden erneut Pestwachen am Taleingang zu Lötschen aufgestellt, um die Bewohner von Gampel vor der im Lötschental grassierenden Pest zu schützen.
1654/55 wird unter dem Kapellenvogt Peter Tannast von der Talschaft die Wallfahrtskapelle in Kühmatt erbaut (Inschrift auf dem Türsturz).
1698 gibt der bernische Hauptmann Abraham von Grafenried den Befehl, die "Grafenriedsche Strasse", einen gepflasterten Saumpfad über den Lötschenpass zu bauen. (Der Lötschenpass war bis zum Bau des Gemmiweges (1739–1741) die wichtigste Verbindung zwischen dem Oberwallis und dem Berner Oberland.)
Der Saumweg wurde bis auf den Lötschenpass erstellt, seine Vollendung scheiterte aber an der Verweigerung des Wegerechtes durch die Walliser, wahrscheinlich in Erinnerung an diverse Schlachten im 14. und 15. Jahrhundert zwischen Wallisern und Bernern auf dem Pass.
3. Mai 1766 Gampel und Jeizinen verkauften die "Gräber" an Ferden.
Bei diesen Gräbern, in der Ortssprache "Greber", handelt es sich um eine Örtlichkeit zwischen Goppenstein und Mittal im vorderen Lötschental. Veräussert wurde ein Teil dieses Gebietes. Dieser Teil der Greber befindet sich weiterhin auf Gemeindegebiet von Gampel, gehört jedoch der Gemeinde Ferden. (Hermann Schnyder, Gemeinde Gampel)
Im Jahr 1790 kauft sich Lötschen für 10.000 Kronen von der Gerichtsbarkeit der fünf oberen Zenden frei.
Fünf Jahre später (1795) gibt sich die Talschaft eine eigene Verfassung.
Am 13. März 1814 erklärt das Wallis seine Unabhängigkeit.
1815 wird im August das Wallis als 20. Kanton in den Bund der Eidgenossen aufgenommen. Im Novermber wird der Friede von Paris besiegelt und der Schweiz immerwährende Neutralität zugesichert.
1840 besteigt der Engländer A. T. Malkin im August das 3293 m hohe Hockenhorn.
1849 baut der englische Unternehmer
John James Rippon eine Fahrstrasse von Steg zu den Bleiminen von Goppenstein.
Diese Bleiminen, die bereits 1474 in einer Urkunde erwähnt werden und in denen auch etliche Lötschentaler ihr Brot verdienten, werden erst 1953 endgültig stillgelegt.
1859 Erstbesteigung des Bietschhorns (3934 m) durch Leslie Stephen (1832-1904) und die Lötschentaler Bergführer Anton Siegen (Ried), Johann Siegen (Ried) und Joseph Ebener (*1808, Wiler) am 13. August auf Drängen des Priors Lehner aus Kippel. Der Engländer Stephen war Professor für Mathematik und Theologie in Oxford, Alpinisten und Präsidenten der weltweit ersten, 1857 gegründeten, Bergsteigervereinigung "The Alpine Club".
(Andere Quellen nennen das Jahr 1867 (19. August) und E. von Fellenberg, P. Michel, P. Egger, A. und J. Siegen,
im Buch "Tausend Grüsse aus den Bergen" ist Peter Siegen (1825-1906) als Führer von Leslie Stephen angegeben.)
1863 wird der „Schweizer Alpen-Club“ (S.A.C.) gegründet und zählt 1927 bereits 25.000 Mitglieder und ca. 100 Clubhütten.
(1862 Gründung des Östereichischen Alpenvereins; 1863 Gründung des italienischen Club Alpino Italiano; 1874 Gründung des französischen Club Alpin.)
1868 V. Tissot gibt seine Reiseeindrücke 20 Jahre später in "La Suisse inconnue, 1888" so wieder: "Primitives, patriarchalisches Leben. Diese Bergbewohner haben so wenig Bedürfnisse, dass es keine Wirtschaft, keinen Weinausschank im Tale gibt. Man spielt nie für Geld. Die Mode ist unverändert seit Jahrhunderten. Alle Kleider werden im Tale selbst verfertigt aus einheimischer Wolle. In jedem Haushalt findet man die Weberei. Die Braut setzt noch den Schmuck ihrer Ahne auf, den schwarzen Hut mit breitem Goldrand, der aufbewahrt wird wie eine Reliquie. Die Söhne tragen die Festtagskleider ihrer Väter. Im Winter in den langen Abendsitzen spinnen die Frauen und erzählen die Alten den Jungen aus der Chronik des Tales und die wunderschönen Gletschersagen."
(siehe J. Siegen, Lötschental, 1971)
1868 wurde das erste Hotel (Hotel "Nesthorn" in Ried) eröffnet. Gäste waren vor allem englische Alpinisten.
Wenn das Hotel 25 Personen beherbergte, hieß es bei den Einheimischen, das Tal sei "voll von Fremden". Die Entwicklung des Tourismus vollzog sich durch die geographischen Bedingungen sehr langsam und erlebte erst mit der Eröffnung der Lötschbergbahn (BLS) 1913 einen nennenswerten Aufschwung.
1872 wurde in Ferden die Musikgesellschaft "Minerva" gegründet die erste Musikgesellschaft im Lötschental, 1882 eine zweite in Blatten.
1890 wird die Theatergesellschaft von Ferden gegründet.
1898 began die Lonza AG in Gampel mit ihrer Carbidproduktion. Aus Calciumcarbid konnte Azethylengas produziert werden, das vor der Verbreitung der elektrischen Beleuchtung helleres Licht versprach als Naturgas.