Die Spend von Ferden
Eine alte Sage erzählt davon, dass die zu Ferden gehörigen Alpen Faldum, Resti und Kummen nach dem Tode eines Senns, der sich zu Lebzeiten unrechtmäßig bereichert hatte, während vieler Sommer von einem verhängnisvollen Spuk heimgesucht wurden: Der Geist des Senns trieb das Vieh aus den Ställen und jagte es rastlos über die Berge und durch Täler. Nach drei Tagen und Nächten kamen die Kühe zurück. Sie trugen Kornähren zwischen den Klauen und gaben blutige Milch.
Die Gemeinde Ferden versuchte mit verschiedensten Mitteln, den übelwollenden Geistersenn zu bannen. Nach vielen vergeblichen Versuchen entschloss man sich, eine Alpspende zu stiften und an die Armen des Tales jedes Jahr die Milcherträgnisse zweier Tage abzugeben. Dies bewirkte, dass der ruhelose Senn sein schlimmes Treiben fortan unterließ.
Die Spend von Ferden war niemals nur Brauchtum. Solange es intakte Alpbetriebe gab (also zumindest bis in die 70er des 20sten Jahrhunderts), wurden vom 22. Juli an die Kühe auf bis dahin (auf Faldum durch eine lange Steinmauer) abgesperrte Alpweiden getrieben. Die gesamte Milch vom Abend des 22. Juli, vom ganzen 23. und vom Morgen des 24. Juli wurde verkäst. Am 24. Juli brachten die Sennerinnen diesen Käse nach Ferden in den Gemeindekeller. Dort nahmen ihn die Spendherren und deren Helfer in Empfang. Der Ziger wurde sofort gestampft und in die aus frischer Tannenrinde gefertigten Formen geschüttet. Die Spendherren waren in den folgenden Monaten für das Gedeihen des Zigers verantwortlich und stachen, in der ersten Zeit täglich später seltener, Löcher in die Tannenrinde, damit die Flüssigkeit aus dem werdenden Käse abfliessen konnte. Der Ziger hatte nun bis zum Ostermontag Zeit zu reifen. Dann wurde er früh morgens in kleine Würfel geschnitten, diese gezählt und für die Spend bereitgestellt.
Gleich nach dem Gottesdienst am Morgen des Ostersonntags läutet die Glocke zur sogenannten "Kleinen Spend". Bei dieser erhalten alle Kinder von der Wiege bis zur Schulentlassung eine Handvoll Ziger und ein achtel Roggenbrot. Anschließend an die kleine Spende sind alle Bürger zur Urversammlung eingeladen. Der Präsident eröffnet die Versammlung mit einem Gebet und liest anschließend die Spend-Statuten vor. Danach werden die Spendorgane gewählt. Nach dem Verzehr von Brot und Ziger beendet der Präsident die Versammlung wieder mit einem Gebet.
Währenddessen am Nachmittag warten draussen die Spendgäste aus den anderen Dörfern. Zum Zeichen, dass die Spend beginnt, öffnet der Spensator die Gemeindehaustüre. Die Frauen, Kinder und Männer nehmen im Gemeindehaus Platz und erhalten in einem weissen Tuch ihre Spende an Ziger und Weißbrot und im vorgeschriebenen Maß auch Wein.
Erst wenn alle Auswärtigen ihre Spende erhalten haben, sind im Rahmen der "Grossen Spend" die einheimischen Frauen und Kinder an der Reihe.
Gleichzeitig wird in einem separaten Raum die "Guttätet- und Gästespend" abgehalten, bei der die weltlichen und geistigen Würdenträger, die "Guttätet" (Wohltäter Milchlieferanten für den Ziger, aber nicht Bürger von Ferden) und die Frauen aus männerlosen Familien beisammen sitzen.
Ist die "Grosse Spend" beendet, wird die Burgerstube am Spätnachmittag für die Bürgerinnen und Bürger frei gemacht. Sie versammeln sich hier bei einem Glas Wein zu geselligem Beisammensein. Der Brauch will es, dass um 10 Uhr nachts "nach Tisch gebetet" wird und der Spensator das Burgerhaus schließt.
Bei der ersten Urkunde, die direkt die Spend betrifft, handelt es sich um eine Übersetzung aus dem Jahre 1872. Es ist die Übersetzung einer lateinischen Schrift, welche selbst verlorengegangen ist. Aus den dort aufgeführten Namen lässt sich schließen, dass die Originalurkunde von ca. 1380 stammen dürfte.
In einem Schreiben von 1596 wurde eine Wiese "Spendmatte" genannt. Dort wird wahrscheinlich früher die Spende stattgefunden haben.
Diese jahrhunderte alte Spend wird noch heute im herkömmlichen Ritus in Form von Ziger, Brot und Wein entrichtet. 1914 wurden die Statuten und Reglements über die Austeilung der Spende aufgestellt, wie sie noch heute Gültigkeit haben. Die Milch für den Zieger kommt allerdings heute nicht mehr von den Alpen, auf denen man Sennerinnen und Kühe vergeblich sucht.